Teuer muss nicht zwangsläufig gut sein – beim Pioneer SE-MASTER1 sind Anspruch und Realität allerdings deckungsgleich, was bedeutet: So umgesetzt ist teuer fantastisch. Die Tage mit dem SE-MASTER1 habe ich genossen. Ich habe unterschiedliche Genres in allen Lautstärken über diverse Zuspieler gehört und immer wieder gegengehört. Meine ersten Eindrücke wurden über die Testdauer dabei ein ums andere Mal bestätigt. Jeder, der die Möglichkeit hat, sollte sich den SE-MASTER1 unbedingt anhören, Besitzern gratuliere ich zu ihrer Wahl.
Meisterliche Auflösung des Klangbildes, leicht zurückhaltender Bass. Referenzmodell des Herstellers und Spitzenmodell im Bereich dynamischer Kopfhörer. Anspruch und Realität stimmen überein. Als eines der Highlights in meiner Testhistorie kann der SE-MASTER1 in allen Testbereichen voll punkten. Einziger Haken – der Preis.
Verortete man den Hersteller Pioneer in den vergangenen Jahren vor allem in den DJ-Bereich mit Kopfhörern speziell für Clubmusik und für mobile Endgeräte gemacht, besann man sich in der Firmenzentrale auf die eigene Geschichte, die in Bezug auf die Kopfhörer-Konstruktion einige Jahrzehnte an Erfahrung vorweisen kann.
Ganze fünf Jahre Forschungs- und Entwicklungsarbeit waren laut Herstellerangaben notwendig, bis die Ingenieure, Designer und Toningenieure ein neues Boutique-Referenzmodell mit dem SE-MASTER1 präsentieren konnten. Ein Löwenanteil ging hierbei auf Kosten der Treiber-Entwicklung. Die im Durchmesser 50 mm große und nur 25 µm dünne Treibermembran ist vollständig aus Aluminium gefertigt und wurde mit einem speziellen Keramikwerkstoff (Parker Ceramic Coating) beschichtet. Es ist laut Herstellerangaben der erste Kopfhörer weltweit, der dieses Verfahren verwendet, das vor allem den Hochtonbereich erheblich verbessern soll. Die Sicke (Aufhängung) ist aus einem speziellen Kunststoff gefertigt, PEEK (Poly-Ether-Ether-Keton), und ist spiralförmig verbaut, um einen möglichst linearen Frequenzgang zu gewährleisten.
Die akustische Feinabstimmung erfolgte schließlich in Kooperation mit den weltberühmten Air Studios London, die sich dafür mit dem eigenen Logo über der rechten Ohrschale verewigen durften.
In Handarbeit von nur einem Mitarbeiter gefertigt
Der MASTER1 wird ausschließlich in Kleinserie von Hand gefertigt und das, laut Aussage von Pioneer, nur von einem einzigen Ingenieur in Tohoku/Japan. Bei mehr als 100 Arbeitsschritten pro Hörer wundert es dann nicht besonders, dass eine gewisse Knappheit am Markt vorherrscht. Die spezielle Exklusivität wird durch die eingravierte Seriennummer über der linken Ohrschale in Vollendung unterstrichen. Ich durfte den Kopfhörer mit der Nummer 662 nun einige Tage ausgiebig testen. Ich habe unterschiedliche Szenarios mit verschiedenen Zuspielern, Verstärkern und Interfaces unternommen und habe den Hörer sogar vor dem konzentrierten Hörtest etwa 100 Stunden „aufwärmen“ lassen.
Haptik und Optik
MASTER1 – so könnte auch ein moderner Samurai-Movie aus Japan heissen – und wie immer geht es um nichts anderes, als den Thron. In etwa so kommt es einem auch vor, wenn man den riesigen und schweren Karton in den Händen hält. Wenn ich bei solch speziellen Modellen die Verpackung öffne, hat es immer noch was von Weihnachten. Im samtbeschlagenen Inneren liegt ein großer, offener Kopfhörer in superedler schwarz-silberner Aluminium-Optik, der über ein Aluminium-Vollkorb-Gehäuse verfügt und dynamisch wandelt. Die Wandstärke des Gehäuses beträgt 3,5 mm und wurde so gewählt, um Resonanzen oder mechanische Vibrationen zu unterbinden. Dieser Aspekt wurde durch Gummidämpfer an allen mechanischen Verbindungen weiter gestärkt.
Wenn die ersten zehn Sekunden über Sympathie oder Antipathie entscheiden, dann hat mich Pioneer auf dem richtigen Fuß erwischt.
Ich lege die vermeintliche Ehrfurcht schnell ab und mache mich an den Zusammenbau. Die Bezeichnung verdient das Einstecken des schweren, 3 Meter langen und mit Textil ummantelten Kabels aus sauerstofffreiem OFC-Kupfer an den beiden Ohrschalen eigentlich nicht, aber notwendig sind die Handgriffe trotzdem. Ist das besonders robuste Kabel richtig verankert, gibt ein leichtes Klacken ein akustisches Feedback. Das verwindungsarme, dicke High-End-Kabel mit massivem, vergoldeten Klinkenstecker kann gegen ein zusätzlich erhältliches Kabel mit XLR-Stecker von Neutrik getauscht werden. Der dafür genannte Preis von 329 EUR ist stattlich, aber im angesprochenen Marktsegment keine Seltenheit. Ein Adapter auf Miniklinke fehlt – man grenzt sich schließlich bewusst von der mobilen Welt ab – aber wer würde im Zug auch einen solchen Edelhörer verwenden?
Tragekomfort
Bei näherem Betrachten bleibe ich an dem abnehmbaren, lateralen Spannbügel aus Stahl hängen und spiele anschließend ein wenig mit den Einstellungsmöglichkeiten des Kopfbügels. Dazu drückt man leicht an der Außenseite auf die minimal abgesetzten Druckbereiche der Befestigung des breiten Kopfbandes. Der Rest ist ein Kinderspiel – die Rasterung am Kopfbügel erlaubt die punktgenaue Größenanpassung an meinen Schädel. Der SE-MASTER1 schmiegt sich mit seinen kippbaren Ohrschalen förmlich am Kopf an und hat mit dem Spannbügel einen ausreichenden seitlichen Anpressdruck. Die Ohrschalen sind mit Memory-Schaumstoff in zwei Stärken ideal gepolstert und mit einem hautfreundlichen Kunstlederüberzug ausgestattet. Das resultierende Mikroklima unter den Schalen lädt zu ausgedehnten Hörsessions ein.
Trotz seines auf dem Papier sehr hohen Gewichts von 460 Gramm empfinde ich schon nach kurzer Zeit einen herausragenden Tragekomfort. Die großen Ohrschalen bieten zudem auch Anwendern mit großen Ohren mehr als ausreichend Platz. Das offene Design schützt zudem vor Hitzestau – selbst in sommerlicher Umgebung werden die Ohrschalen so nicht zur Ohrensauna.
Es mag ein psychologischer Aspekt mitschwingen, aber ich kann aufgrund eines längeren A-B-Vergleichs für mich mit Sicherheit behaupten, dass der Stahlbügel genau das richtige Maß an seitlichem Halt bietet, der das Tragen dieses Kopfhörers zum wahren Vergnügen macht. Die Tatsache, dass man diesen, wie auch einige andere Bauteile des Kopfhörers, nachbestellen kann, spricht für eine auf Langlebigkeit ausgelegte Produktstrategie. Angesichts des aufgerufenen Verkaufspreises von 2.499 EUR finde ich das allerdings auch angemessen.
Ein Wort noch zum Kabel im Praxiseinsatz. Beim entspannten, genussorientierten Hören fällt das Kabel nicht weiter auf und es überträgt auch keinerlei Griffgeräusche. Beim konzentrierten Arbeiten am Schreibtisch hingegen kann die robuste Bauweise stören, wenn man beispielsweise Gitarre aufnehmen will oder seine Sitzposition häufiger ändert. Das ist allerdings Jammern auf Champions League Final-Niveau.
Klang
Ich fange hier mit einer Aussage von Pioneer an. Der Frequenzbereich, den der SE-MASTER1 abbilden kann, beträgt danach 5 Hz – 85.000 Hz. Hi-Res Audio stellt den Hörer somit vor keinerlei Herausforderung und der enorme Übertragungsbereich wirkt sich in erster Linie beim darstellbaren Detailreichtum aus. Besonders die oberen Oktaven profitieren davon.
Was man mit diesem Premium-Modell alles hört, ist positiv schockierend. Dynamische akustische oder orchestrale Quellen übersetzen ausnehmend gut, die Stereoplatzierung der einzelnen Instrumente/Spuren ist breitgefächert und äußerst akkurat. Höhen- und Mittenfrequenzen werden überragend nachgezeichnet. Auch bei Material mit vielen Höhen klingt er dabei aber keineswegs harsch. Im Bassbereich könnten manche Anwender etwas Druck vermissen. Hier muss man erstens das offene Design berücksichtigen und zweitens, dass gerade in dem Bereich die meiste Augenwischerei stattfindet. Der SE-MASTER1 ist in meinen Ohren im Bassbereich hervorragend aufgestellt, ohne einen dabei komplett durchzuschütteln.
Komplexe Kompositionen oder ausproduzierte Songs profitieren ebenso. Volle Arrangements werden musikalisch abgebildet – damit meine ich Folgendes: Obwohl der SE-MASTER1 sehr genau wiedergibt, nervt er mich auch bei langen Sessions nicht, ermüdet mich nicht. Nimmt man den Hörer nach einer solchen ab, hat man kein wattiertes Gefühl, sondern kann z.B. sofort danach über Monitorboxen gegenhören.
Technische Daten
- BauformOver-Ear
- Bauweiseoffen
- Audio-Übertragungsbereich (Hörer)5 - 85.000 Hz
- Impedanz39,7 Ohm
- Schalldruckpegel (SPL)99,29 dB
- Druck gemittelt aus großem und kleinem Kopf614,5* g
- Gewicht mit Kabel600 g
- Gewicht ohne Kabel466 g
- Kabellänge305 cm
Lieferumfang
- zusätzlich erhältliches Kabel mit XLR-Stecker von Neutrik (JCA-XLR30M)
Besonderheiten
- * Anpressdruck: so variierbar, dass der Kopfhörer gefühlt nur das Eigengewicht auf dem Kopf hat und sonst nicht presst
Der Bewertung schließe ich mich uneingeschränkt an. Zu ergänzen ist ein Element, das für mich die Arbeit mit diesem Kopfhörer auszeichnet: Das Gerät bildet auch in sehr komplexen Musikstücken jedes einzelne Instrument mit seinern eigenen Klangcharakteristik ab – man hört jede Note einer Partitur, nichts geht unter, ohne dass das Klangbild aber „auseinanderfällt“. Und schließlich: Die menschliche Stimme – besonders von einer sehr guten Vinylquelle – wird sensationell natürlich wiedergegeben. Ein Kopfhörer, den man viel zu selten auf dem markt sieht.